Beitrag anläßlich der Europawahl 2019

Beitrag von Christoph Mai vom 15.05.2019:

Angesichts des Aufkommens nationalistischer Parteien, welche sich die Aushöhlung und Abschaffung gemeinsamer Handlungskompetenzen der EU zum Ziel gesetzt haben, und nicht zuletzt aufgrund des Brexit, werden die bevorstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament von Vielen als „Schicksalswahlen“ bezeichnet. Es ist zu befürchten, dass die EU nach der Wahl geschwächt dastehen wird. Es wird demzufolge dann noch schwieriger, gemeinsame Lösungen für die drängenden Probleme unserer Zeit (z.B. Frieden, Klimawandel, Migration) zu finden und auch europaweit durchzusetzen. Umso wichtiger ist es natürlich, daß möglichst viele Bürger an der Wahl teilnehmen.  

Fakt ist aber auch, daß sich in der langen Geschichte der EU immer wieder Phasen verstärkter Integration mit Phasen des Stillstands oder sogar des Rückschritts abwechselten. Man denke nur an De Gaulles „Politik des leeren Stuhls“ in den 1960er Jahren, als Frankreich aus Protest gegen die Einführung von Mehrheitsentscheidungen (Gefahr der Überstimmung der eigenen nationalen Position) die gemeinsamen Verhandlungen durch seine Verweigerungshaltung blockierte.  

Auch heute dominiert wieder der alte Streit zwischen Kräften, die für eine verstärkte Integration bzw. mehr Entscheidungs- bzw. Handlungskompetenzen der gemeinschaftlichen Europäischen Institutionen eintreten und denen, die eine Aushöhlung nationaler Kompetenzen befürchten und behaupten, dass die Probleme auch ohne Kompetenzabtretung an Gemeinschaftsinstitutionen von starken Nationalstaaten im Rahmen rein zwischenstaatlicher Verhandlungen (Verhandlungsergebnis nur bei Einstimmigkeit) gelöst werden könnten. 

Während die innereuropäische Spaltung zunimmt, verabschieden sich die USA von internationalen Abkommen. Die Großmächte agieren selbstbezogener und ein uneiniges Europa droht, zwischen ihnen zerrieben zu werden. Chinas staatsgelenkte Wirtschaft bedient sich ungeachtet bestehender internationaler Wettbewerbsregeln an technischen Innovationen aus der ganzen Welt. Russland feilt an der Destabilisierung des demokratischen Westens und der geheimdiensterfahrene Dauerpräsident setzt dabei intensiv auf Cyberkriminalität, die Förderung antidemokratischer Kräfte im Ausland und die technischen Möglichkeiten der fabrikmäßig massenhaft produzierten Meinungsmache in sozialen Netzwerken. Unsere bisherige Schutzmacht USA verabschiedet sich allmählich von den bislang gewährten Schutzgarantien und stellt Forderungen, die auf eine Beteiligung an der Zuspitzung internationaler Konflikte (z.B. Iran) hinauslaufen. 

In der EU ist es bislang trotz vieler Rückschritte immer wieder zu einer weiteren Stärkung der Union gekommen. Angesichts der Zunahme an Problemen, die  nur gemeinschaftlich gelöst werden können, konnten sich die Menschen diesen Integrationsschritten letztlich nicht verweigern. Selbst die Engländer würden heute wahrscheinlich gegen den Brexit stimmen. Auch bei den Amerikanern hege ich die Hoffnung, daß diese bei den nächsten Wahlen klüger als 2016 sind. Im Gegensatz zu Diktaturen sind Demokratien fehlertolerant. Gemachte Fehlentscheidungen können im Rahmen der nächsten Wahlen revidiert werden. Ich hege insgesamt also doch noch die Hoffnung auf einen evolutionären Wandel zum Besseren. Im Angesicht von Klimawandel und akuten Bedrohungen des Friedens stellt sich allerdings die Frage, ob wir noch genug Zeit dafür haben. 

Mir persönlich bleibt nur der Aufruf, zur Wahl zu gehen, die demokratischen Kräfte zu stärken und gemeinsam an einer zukunftsfähigen, friedlichen, demokratischen, wertebasierten und sozialen Europäischen Union zu arbeiten, die dann wiederum beispielgebend für andere Regionen der Welt sein kann. 

Ähnliche Beiträge

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert